Nächtliche Wadenkrämpfe – was die Ursachen sind und was wirklich hilft
- Dr. Christian Lunow
- vor 1 Tag
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Sie beginnen meist mit einem leichten Ziehen und können im nächsten Moment höllisch wehtun: Muskelkrämpfe sind zwar nicht gesundheitsgefährdend, doch sie können für Betroffene sehr belastend sein - besonders wenn die schmerzhaften Kontraktionen immer wieder nachts wie aus dem Nichts auftreten. Was sind die Ursachen für nächtliche Beinkrämpfe, wann sollte ein Arzt aufgesucht werden und welche Mittel helfen wirklich?

Was sind Muskelkrämpfe?
Ein Muskelkrampf ist eine plötzlich einsetzende, oft schmerzhafte, unwillkürliche Kontraktion eines oder mehrerer Skelettmuskeln, die über Sekunden bis Minuten bestehen kann. Nach dem Krampf löst sich die Spannung in der Regel wieder. Schmerzen können allerdings über den eigentlichen Krampf hinaus anhalten, vor allem wenn die Kontraktion der Muskulatur zuvor länger angehalten hat.
Krämpfe können in vielen Kontexten auftreten — zum Beispiel während oder nach körperlicher Belastung (exercise-associated muscle cramps, EAMC), im Rahmen einer Erkrankung oder medikamentöser Auslöser oder ohne erkennbaren Auslöser, vor allem nachts (nächtliche Waden- oder Beinkrämpfe). Lässt sich kein Auslöser für die Entstehung von Krämpfen ausmachen, spricht man auch vom benignen idiopathischen Beinkrampf. Er entwickelt sich oft in Ruhe und während der Nacht und betrifft ganz überwiegend die Muskeln der Wade und des Fußgewölbes.
Treten sie wiederholt auf, können die schmerzhaften nächtlichen Kontraktionen die Schlaf- und Lebensqualität einschränken. Vor allem ältere Menschen leiden unter ihnen. 30–55 % der Menschen über 65 Jahren leiden an regelmäßigen Muskelkrämpfen, bei 30–40 % treten sie mehr als dreimal pro Woche auf.
Krämpfe sind oft folgenlos, können aber bei Häufigkeit, Intensität oder begleitenden Symptomen eine medizinische Abklärung erfordern.
Was fehlt dem Körper bei Krämpfen in den Beinen?
Die exakten Ursachen von Muskelkrämpfen im Allgemeinen sind teilweise noch ungeklärt, doch es existiert ein breites Spektrum möglicher Faktoren und Hypothesen. Die Literatur diskutiert insbesondere zwei Hauptmechanismen:
1. Elektrolyt-/Flüssigkeitstheorie
Die klassisch häufig zitierte Hypothese besagt, dass durch Schweiß, Flüssigkeitsverlust oder durch Ungleichgewichte von Natrium, Kalium, Kalzium oder Magnesium die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln gestört wird,
sodass bestimmte Nerven übererregt werden und die Muskulatur spontan kontrahiert. Allerdings reichen diese Erklärungen nicht überall: Bei manchen Sportlern mit Krämpfen konnten keine konsistenten Elektrolytstörungen nachgewiesen werden.
2. Neuromuskuläre Kontrolle / Reflexmechanismen
Eine andere oder komplementäre Theorie postuliert, dass Krämpfe durch eine Fehlregulation der Reflexbahnen innerhalb des Nervensystems entstehen: Es kommt zu einer Übererregbarkeit motorischer Neuronen oder zu einer unzureichenden Hemmung (durch Golgi-Sehnenorgane, inhibitorische Interneurone etc.). Nach diesem Erklärungsansatz sind Muskelermüdung, Überbeanspruchung oder wiederholte Kontraktionen entscheidende Trigger, weil sie das Gleichgewicht von Erregung und Hemmung in motorischen Bahnen stören können.
In der neueren Literatur werden diese beiden Mechanismen häufig nicht als konkurrierend, sondern als potenziell zusammenwirkend gesehen: Je nach Situation (z. B. Belastung, Temperatur, individuelle Disposition) kann der elektrolytische Faktor stärker oder der neuromuskuläre Faktor dominanter sein.
Wann sollte ich Krämpfe ärztlich abklären lassen?
Treten Muskelkrämpfe in der Nacht wiederholt und regelmäßig auf, lassen sie sich dabei nicht auf konkrete Auslöser wie muskuläre Anstrengung, Flüssigkeitsverlust oder mangelnde Wasser- und Elektrolytzufuhr zurückführen und durch Beseitigung der Auslöser verhindern, kann eine ärztliche Abklärung der Probleme sinnvoll sein. Das gilt insbesondere, wenn neben Krämpfen noch andere Symptome beobachtet werden, wie Taubheit, Kribbeln, Muskelschwäche, Müdigkeit oder Herzrhythmusstörungen. Die ärztliche Untersuchung beinhaltet zunächst die Anamnese, das heißt, die Vorgeschichte der bestehenden Krankheit wird erfasst sowie das Beschwerdebild, Familienanamnese und eventuell regelmäßige Medikamenteneinnahme. Danach können sich eine Basisblutuntersuchung, neurologische Untersuchungen sowie weitere Laboranalysen anschließen.
Welche Krankheiten lösen Krämpfe aus?
Neben verbreiteten Auslösern wie Muskelermüdung, Überbeanspruchung, ungewohnter Belastung sowie Flüssigkeitsmangel können Muskelkrämpfe auch mit anderen auslösenden Bedingungen wie Erkrankungen zusammenhängen.
Störungen und Erkrankungen des Nervensystems zählen dabei zu den häufigsten organischen Auslösern für Muskelkrämpfe. Besonders Schädigungen peripherer Nerven, wie sie etwa bei einer Polyneuropathie auftreten, können Krämpfe verursachen. Diese entstehen, weil geschädigte Nervenfasern übererregt sind und spontane elektrische Signale an den Muskel senden.
Typische Beispiele sind die diabetische Polyneuropathie, bei der Nervenschäden infolge eines langjährigen Diabetes auftreten, oder eine alkoholbedingte Neuropathie. Die Betroffenen berichten oft von brennenden oder stechenden Schmerzen, Taubheitsgefühlen und wiederkehrenden nächtlichen Wadenkrämpfen.
Diabetes kann zudem zu Veränderungen im Mineralstoffhaushalt und Gefäßerkrankungen (z. B. PAVK) führen. Das kann neuromuskuläre Reizübertragung stören sowie die Sauerstoffversorgung stören und somit Krämpfe begünstigen.
Auch Nervenwurzelreizungen, etwa durch einen Bandscheibenvorfall oder eine Spinalkanalstenose, können Krämpfe auslösen. In solchen Fällen treten die Beschwerden meist einseitig auf und werden von ziehenden Schmerzen oder Schwäche begleitet.
Selten, aber klinisch bedeutsam, sind Muskelkrämpfe auch ein frühes Symptom bei Motoneuronerkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Hier kommt es zu einer Degeneration motorischer Nervenzellen, was zu einer Übererregbarkeit der verbliebenen Nervenzellen und dadurch zu Krämpfen und Muskelzuckungen führen kann.
Darüber hinaus treten Muskelkrämpfe gehäuft bei Leber- und Nierenerkrankungen auf. Bei Leberzirrhose beispielsweise können veränderte Stoffwechselprodukte und Elektrolytverschiebungen die Nervenübererregbarkeit steigern. Dialysepatienten leiden ebenfalls häufig an Krämpfen, besonders während oder kurz nach der Behandlung, wenn sich Flüssigkeits- und Salzgehalte rasch verändern.
Nächtliche Krämpfe und Schilddrüsenunterfunktion: Wie beides zusammenhängen kann
Auch Störungen des Stoffwechsels und hormonelle Dysbalancen können Muskelkrämpfe begünstigen und sollten abgeklärt werden. Besonders häufig tritt das Symptom bei einer Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) auf.
Die Schilddrüse steuert den Stoffwechsel – und damit auch Energieproduktion, Nervenfunktion und Muskelarbeit. Bei einer Unterfunktion werden die Hormone T3 und T4 nicht in ausreichender Menge produziert. Durch den verlangsamten Energiestoffwechsel fehlt den Muskeln ATP, die universelle „Energieeinheit“ der Zelle. Gleichzeitig verändert sich der Kalzium- und Natriumhaushalt, wodurch die Muskulatur schneller verkrampft. Studien zeigen, dass 50 bis 80 % der unbehandelten Patientinnen und Patienten mit Hypothyreose über Muskelschmerzen oder -krämpfe klagen – Beschwerden, die sich nach Beginn einer Schilddrüsenhormontherapie meist deutlich bessern.
Fast immer ist eine Schilddrüsenunterfunktion die Folge einer Hashimoto-Thyreoiditis, einer Autoimmunerkrankung, die das Schilddrüsengewebe zerstört. Aufgrund der Eigenschaften der Krankheit – Symptome entwickeln sich schleichend, sind variabel und unspezifisch – und weil typische Labor- oder Ultraschallbefunde trügerisch sein können, führt ein einfacher Bluttest, der TSH sowie die freien Hormone fT3 und fT4 misst, nicht immer zur Diagnose. Es empfiehlt sich daher, bei Verdacht einen Schilddrüsencheck bei spezialisierten Ärzten durchführen zu lassen.
Neuromuskuläre und seltene genetische Erkrankungen
In selteneren Fällen stehen Muskelkrämpfe im Zusammenhang mit primären Muskelerkrankungen (Myopathien).
Beispiele sind die myotone Dystrophie, bei der genetische Veränderungen zu einer Fehlsteuerung der Ionenkanäle in der Muskelzelle führen. Dadurch können sich Muskeln nach einer Kontraktion nicht mehr vollständig entspannen, was sich als Krampf oder Steifigkeit äußert.
Auch metabolische Myopathien, etwa die McArdle-Krankheit, bei der Muskeln keinen gespeicherten Zucker abbauen können, führen zu Krämpfen, vor allem bei körperlicher Belastung. Diese seltenen Ursachen werden meist erst in Betracht gezogen, wenn häufige Auslöser ausgeschlossen sind.
Was hilft schnell gegen einen Krampf?
Wenn ein Muskel gerade verkrampft ist, sind folgende Schritte oft hilfreich:
Dehnung / Streckung des betroffenen Muskels
Dies ist die am besten etablierte Maßnahme zur sofortigen Linderung. Durch Dehnung werden die kontrahierten Muskelfasern aufgelockert, der Golgi-Sehnen-Inhibitionsreflex aktiviert und das Kräftegleichgewicht zurückgeführt.
Beispiel: Bei einem Wadenkrampf → Fußspitze in Richtung Schienbein ziehen (Dorsalflexion) bei gestrecktem Bein.
Massieren / manuelle Lockerung des Muskels
Leichte bis mäßige Massage kann lokal entspannend wirken und Verspannungslösungen fördern.
Wärmen oder Kühlen
Manche Betroffene profitieren von Wärme (z. B. warme Kompressen, warmes Fußbad) zur Lockerung der Muskulatur; in anderen Fälle kann eine Kälteanwendung (Eispack) gegen Schmerzen helfen. Die Evidenz hierfür ist jedoch eher erfahrungsbasiert.
Bewegen
In manchen Fällen kann ein leichtes Gehen oder Bewegen der betroffenen Extremität die Krampfsignale unterbrechen.
Hydratation / Elektrolytausgleich
Sofern geeignet (z. B. bei Belastungskrämpfen), kann das Trinken von Flüssigkeit und Elektrolytlösungen unterstützend sein. Allerdings ist dies keine Garantie, dass der Krampf sofort nachlässt, da die hauptsächliche Wirkung eher präventiv ist.
Wie kann man Krämpfen vorbeugen?
Welche Maßnahmen und Mittel haben in klinischen Studien tatsächlich einen Nutzen gezeigt? Hier ist eine Übersicht über das, was laut aktueller Evidenz eher hilfreich ist, kontrovers bleibt oder nicht ausreichend belegt ist.
Dehnung / regelmäßiges Stretching
Regelmäßiges Dehnen, vor allem der Muskelgruppen, die zu Krämpfen neigen (z.B. Waden, Oberschenkel), gilt als fundamentale Maßnahme zur Vorbeugung. In Übersichtsarbeiten wird Stretching häufig als „Best Practice“ angegeben, auch wenn die Studienlage nicht immer kontrolliert ist.
Magnesium (orale oder parenterale Supplementation)
Magnesium wird oft als Hausmittel oder Nahrungsergänzung bei Krämpfen genannt. Die Studienlage ist allerdings gemischt:
Eine systematische Übersicht aus 2020 zu „Magnesium for skeletal muscle cramps“ kam zu dem Schluss, dass es nicht überzeugend belegt ist, dass Magnesium bei idiopathischen Muskelkrämpfen wirksam ist.
In einer Metaanalyse aus 2014 zu nächtlichen Beinkrämpfen wurde festgestellt, dass Magnesiumtherapie in der Allgemeinbevölkerung kaum effektiv zu sein scheint, möglicherweise geringfügig bei Schwangeren.
In einer klinischen Studie (Maor et al. 2017) zeigte Magnesiumoxid gegenüber Placebo keine signifikante Überlegenheit bei nächtlichen Wadenkrämpfen.
Eine neuere Übersichtsarbeit kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass ein klarer Vorteil der Magnesiumsupplementation in vielen Fällen nicht überzeugend ist.
Es gibt jedoch Hinweise, dass in bestimmten Gruppen (z. B. Schwangere, Dialysepatienten) Magnesium einen gewissen Nutzen haben könnte, aber die Studien sind klein und nicht konsistent.
Quinin / Chinin (Chininhydrochlorid)
Quinin war über Jahrzehnte eines der traditionellen Mittel gegen nächtliche Wadenkrämpfe:
Frühere Studien zeigten moderate Wirksamkeit, allerdings bei einem nicht vernachlässigbaren Nebenwirkungsrisiko (z. B. Herzrhythmusstörungen, Sehstörungen).
Wegen des Sicherheitsprofils wird Quinin heute nur noch sehr zurückhaltend empfohlen und oft nur bei schweren, therapieresistenten Fällen und unter ärztlicher Aufsicht.
Vitamin K₂ (K2)
Eine neuere Studie untersuchte den Effekt von Vitamin K₂ auf nächtliche Beinkrämpfe:
In einer randomisierten Studie wurde gezeigt, dass Vitamin K₂ die Häufigkeit nächtlicher Beinkrämpfe im Vergleich zu Placebo signifikant senken konnte.
Diese Ergebnisse sind vielversprechend, aber bisher auf einzelne Studien beschränkt — es sind mehr unabhängige Studien nötig, um eine breite Empfehlung auszusprechen.
Lebensstil und Prävention
Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, insbesondere bei körperlicher Belastung oder Hitze.
Elektrolyte mit der Nahrung zu sich nehmen (Salz, Kalium, Magnesium, Calcium) — nicht als Ersatz für medizinische Therapie, sondern als unterstützende Maßnahme.
Nicht überanstrengen, das heißt Training progressiv steigern und dem Körper Erholungsphasen gönnen.
Geeignete Schuhe, weiche Unterlagen und ergonomische Bedingungen im Alltag.
Bewegung, Muskeltraining und Flexibilitätstraining regelmäßig einbauen.
Medikamentenanpassung prüfen, falls Medikamente als Auslöser infrage kommen (in Rücksprache mit Ärztin/Arzt).
Bei nächtlichen Krämpfen: Bettdecken am Fußende lockern, Fußstellung vermeiden, die zu starker Plantarflexion führt.
Wie kann man Krämpfen am besten vorbeugen?
Akut und präventiv sind regelmäßiges Stretching und Muskeltraining zentrale Mittel gegen Beinkrämpfe. Supplemente wie Magnesium können in Einzelfällen ausprobiert werden, sind aber keine Garantie — ihre Wirkung ist laut Studienlage begrenzt.
Fazit
Nächtliche Wadenkrämpfe sind weit verbreitet, besonders im höheren Lebensalter, und können die Schlaf- und Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Zur schnellen Linderung bewähren sich Dehnen und Massieren, während Magnesium nur begrenzt wirksam ist. Langfristig helfen vor allem regelmäßiges Stretching und ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Denn oftmals sind harmlose Auslöser wie Muskelermüdung oder Flüssigkeitsmangel für ihre Entstehung verantwortlich. Nur in seltenen Fällen stehen ernstere neurologische oder genetische Erkrankungen hinter den Beschwerden.
Häufige Wadenkrämpfe können aber auch auf hormonelle und metabolische Veränderungen hindeuten – darunter auch eine Schilddrüsenunterfunktion. Eine Schilddrüsenunterfunktion wird oft übersehen, weil ihre Symptome – Müdigkeit, Gewichtszunahme, Kälteempfindlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten oder eben Muskelkrämpfe – häufig unspezifisch sind und leicht anderen Gründen zugeschrieben werden.
Gerade wenn nächtliche Wadenkrämpfe ohne erkennbaren Auslöser auftreten oder trotz guter Hydratation, ausreichender Elektrolytzufuhr und regelmäßigen Dehnübungen bestehen bleiben, kann eine Störung der Schilddrüsenhormone ein entscheidender Faktor sein. Eine medizinische Abklärung ist immer dann sinnvoll, wenn Krämpfe häufig auftreten, keine erkennbaren Auslöser bestehen oder zusätzliche Symptome wie Taubheit, Schwäche oder Herzrhythmusstörungen hinzukommen.
Wird eine Hypothyreose früh erkannt, lässt sie sich sehr effektiv behandeln – und viele Betroffene berichten, dass sich Muskelkrämpfe und Muskelschmerzen bereits wenige Wochen nach Beginn einer passenden Schilddrüsenhormontherapie deutlich bessern. Auch Autoimmunprozesse wie Hashimoto-Thyreoiditis können mit Muskelsymptomen einhergehen und sollten bei wiederkehrenden nächtlichen Krämpfen in Betracht gezogen werden. Eine Untersuchung der Schilddrüse bietet daher eine einfache, aber wichtige Möglichkeit, verborgene Ursachen zu identifizieren und Beschwerden nachhaltig zu lindern.





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