Der TSH-Wert - was verrät er über meine Schilddrüse?
- Dr. Christian Lunow
- 21. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Der TSH-Wert gehört zu den wichtigsten Blutwerten, wenn es darum geht, die Funktion der Schilddrüse zu beurteilen. Lange Zeit galt er sogar als idealer Indikator, um eine Schilddrüsenunterfunktion oder -überfunktion festzustellen oder auszuschließen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stellen die Aussagekraft des TSH-Wertes jedoch in Frage. Was ist ein normaler TSH-Wert? Ab wann ist eine Abweichung nach unten oder oben bedenklich – und wie verlässlich ist der TSH-Wert wirklich, wenn es um die Beurteilung der Schilddrüse geht?
Was ist TSH?
TSH ist ein Hormon und steht für Thyreoidea-stimulierendes Hormon (auch: Thyrotropin). Es wird in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) gebildet. Gemeinsam mit dem Thyrotropin-Releasing-Hormon (TRH) bildet es ein Regulationssystem, das Schwankungen in den Spiegeln der freien Schilddrüsenhormone fT3 und fT4 ausgleichen kann.In dem Maß, in dem fT3 und fT4 in die Blutbahn gelangen, hemmen sie die TRH-Produktion im Hypothalamus sowie die TSH-Produktion in der Hypophyse. Sinkt der fT3- und fT4-Spiegel, setzen Hypothalamus und Hypophyse ihrerseits vermehrt TRH bzw. TSH frei.Man kann also sagen, dass die Schilddrüsenhormone neben zahlreichen Stoffwechselprozessen auch die Menge ihrer eigenen Produktion steuern. TSH sorgt für eine Rückkopplung zwischen den Schilddrüsenhormonspiegeln und der Schilddrüse – und wirkt dadurch entweder stimulierend (bei zu niedriger Schilddrüsenhormonproduktion) oder hemmend, wenn fT3- und fT4-Spiegel zu hoch sind.

Wo liegt ein normaler TSH-Wert?
Liegt der TSH-Wert deutlich oberhalb des Normbereichs, besteht mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine Schilddrüsenunterfunktion; liegt er darunter, deutet dies auf eine Schilddrüsenüberfunktion hin. Befindet sich lediglich der TSH-Wert außerhalb des Referenzbereichs, während die gemessenen Schilddrüsenhormonspiegel (fT3, fT4) noch normal sind, spricht man von einer latenten Form der Unter- bzw. Überfunktion. Betroffene zeigen in solchen Fällen meist keine Krankheitssymptome. Diese latente Funktionsstörung wird daher auch als subklinisch bezeichnet.Als normal gelten bei Erwachsenen TSH-Werte zwischen 0,4 und 4,0 μU/Liter. Die Referenzwerte können jedoch je nach Labor und angewandter Methode leicht variieren. Ergibt die Laboruntersuchung Werte über 4,0 μU/L, kann dies auf eine beginnende oder latente Schilddrüsenunterfunktion hinweisen. Werte unter 0,4 μU/L sprechen hingegen für eine Schilddrüsenüberfunktion.
Warum spielt der TSH-Wert in der Schilddrüsendiagnostik eine so wichtige Rolle?
Das TSH-Screening ist relativ kostengünstig, einfach durchzuführen und gilt seit den 1980er Jahren als Standarduntersuchung bei Verdacht auf eine Schilddrüsenfunktionsstörung. Der TSH-Wert ist ein vergleichsweise sensitiver Marker – das heißt, er reagiert bereits auf kleinste Veränderungen der Schilddrüsenhormonspiegel mit teils deutlichen Abweichungen vom Normbereich. Diese Veränderungen können sich manchmal zeigen, noch bevor sich Veränderungen bei den T3- und T4-Spiegeln feststellen lassen oder überhaupt Krankheitssymptome auftreten.Bedeutet ein erhöhter TSH-Wert automatisch, dass ich eine Schilddrüsenunterfunktion habe?Liegt der TSH-Wert deutlich oberhalb des Normbereichs, besteht mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine Schilddrüsenunterfunktion. Aber Vorsicht: Der TSH-Wert allein liefert keinen gesicherten Krankheitsnachweis. Sein Nutzen liegt vielmehr darin, eine Verdachtsdiagnose zu stützen und Wahrscheinlichkeiten einzugrenzen. In jedem Fall sind weitere Untersuchungen notwendig, um eine sichere Diagnose stellen zu können.
Ist ein normaler TSH-Wert ausreichend, um eine Schilddrüsenfunktionsstörung auszuschließen?
Trotz guter diagnostischer Möglichkeiten kommt es vor, dass klinisch auffällige Patienten verzögert oder erst spät die Diagnose „Schilddrüsenunter- oder überfunktion“ erhalten. Häufig ist dafür eine Fehlinterpretation des gemessenen TSH-Wertes verantwortlich.Die alleinige Messung der TSH-Konzentration im Blut ist nicht geeignet, um eine Schilddrüsenfunktionsstörung bei klinisch auffälligen Patienten auszuschließen. Patienten können unter einer Hypothyreose oder Hyperthyreose leiden, sogar wenn der TSH-Wert im Normbereich liegt.
Wo liegen die Schwächen der Schilddrüsen-Diagnostik anhand des TSH-Wertes?
Seit einigen Jahren sorgt der geltende Referenzrahmen für normale Schilddrüsenwerte für Kontroversen. Einer amerikanischen Studie zufolge haben 95 Prozent der Erwachsenen, die keine Schilddrüsenfunktionsstörung haben, einen TSH-Wert von unter 2,5 μU/l. Die Erfahrung aus der Behandlung Hunderter Hashimoto-Patienten im Schilddrüsenzentrum Bonn und Bornheim zeigt: Nicht jeder Patient, der einem Wert von 2,5 oder 3,0 μU/l aufweist, muss gleich als „krank“ abgestempelt werden und bedarf zwangsläufig einer Behandlung. Auf der anderen Seite ist ein TSH-Wert zwischen 2,0 und 4,0 μU/l nicht „hochnormal“, wie manche Glauben machen wollen. Häufig liegt schon bei Werten über 2,0 μU/l eine latente oder beginnende Schilddrüsenunterfunktion vor. Einige Labore in Deutschland haben die Obergrenze des Normbereichs entsprechend abgesenkt, andere jedoch halten an den alten Werten fest. Hinzu kommt, dass der TSH-Spiegel keineswegs stabil normal, erhöht oder erniedrigt ist, sondern natürlichen Schwankungen abhängig von Tageszeit und Jahreszeit unterliegt. Zudem beeinflussen eine Reihe von Faktoren den TSH-Wert - dazu zählen:
Lebensalter
Körpergewicht
Jodzufuhr und andere Ernährungsgewohnheiten
Medikamenten
Schwangerschaft
Ethnie
Andere wissenschaftliche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass es sich beim „normalen“ TSH-Wert um einen Parameter handelt, der von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ist, dass geltende Referenzrahmen in vielen Fällen wenig hilfreich sind – insbesondere dann, wenn der TSH-Wert zum alleinigen Maßstab einer Hormonersatztherapie (bei Schilddrüsenunterfunktion) gemacht wird. Schilddrüsenexperten sprechen in diesem Zusammenhang von einem individualisierten optimalen TSH-Wert.
Fazit
Der TSH-Wert reagiert sehr empfindlich und liefert häufig die ersten Hinweise auf ein hormonelles Ungleichgewicht. Doch in der Schilddrüsendiagnostik sollte er niemals isoliert betrachtet werden.Bei auffälligen Werten oder bestehenden Symptomen einer Unterfunktion sollte die Bestimmung des TSH-Spiegels aufgrund der genannten Unsicherheiten unbedingt wiederholt oder – falls vorhanden – mit früheren Laborergebnissen (unter Anwendung derselben Bestimmungsmethode) verglichen werden.Eine zusätzliche Messung der freien Schilddrüsenhormone (fT3 und fT4) im Blut ist unverzichtbar, um die Aussagekraft der Laborwerte zu erhöhen und eine präzisere Diagnose zu ermöglichen.
Sie möchten mehr zu dem Thema wissen?
Ausführliche Informationen über die Bedeutung und Grenzen des TSH-Wertes in der Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenfunktionsstörungen und Hashimoto-Thyreoiditis finden Sie im Buch „Der Hashimoto-Guide“ von Dr. Christian Lunow (Schilddrüsenzentrum Bonn und Bornheim).

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